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Bundesministerium
für Wirtschaft und Klimaschutz

Anordnung
gemäß § 6 des Außenwirtschaftsgesetzes
bezüglich der Anteile an der Gazprom Germania GmbH

Vom 4. April 2022

Hiermit ordne ich im Benehmen mit dem Auswärtigen Amt, dem Bundesministerium der Finanzen und der Deutschen Bundesbank auf der Grundlage des § 6 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 4 Absatz 1 Nummer 4 sowie § 13 Absatz 6 des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) Folgendes an:

1.
Hinsichtlich sämtlicher Stimmrechte aus Geschäftsanteilen an der Gazprom Germania GmbH wird die Treuhandverwaltung durch die Bundesnetzagentur bis zum 30. September 2022 nach Maßgabe der nachstehenden Nummern 2 bis 4 angeordnet.
2.
Die Wahrnehmung der Stimmrechte der Gesellschafter der Gazprom Germania GmbH wird ausgeschlossen.
3.
Die Stimmrechte aus den Geschäftsanteilen an der Gazprom Germania GmbH gehen hiermit auf die Bundesnetzagentur über. Die Bundesnetzagentur ist insbesondere berechtigt, Mitglieder der Geschäftsführung abzuberufen und neu zu bestellen sowie der Geschäftsführung Weisungen zu erteilen.
4.
Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis in Bezug auf das Vermögen der Gazprom Germania GmbH wird beschränkt und steht unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Bundesnetzagentur.

Begründung

I. Sachverhalt

1.
Gazprom Germania GmbH
Gazprom Germania GmbH („Gazprom Germania“) mit Sitz in Berlin ist ein inländisches Unternehmen und betreibt in Deutschland selbst und durch seine Tochtergesellschaften kritische Infrastrukturen im Sinne des BSI-Gesetzes im Sektor Energie im Bereich Gasversorgung.
2.
Erwerb sämtlicher Stimmrechte durch Joint Stock Company Palmary
Bis 25. März 2022 war Gazprom Export LLC („GPE“) mit Sitz in Russland alleinige Gesellschafterin der Gazprom Germania. GPE wiederum ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Konzernmutter Public Joint Stock Company Gazprom mit Sitz in Russland („PJSC Gazprom“).
Die von GPE gehaltenen Anteile an Gazprom Germania in Höhe von 100 % wurden am 25. März 2022 an eine Gesellschaft namens Gazprom export business services LLC („GPEBS“) mit Sitz in Russland abgetreten. Hierzu liegt dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) eine Abschrift einer notariellen Bescheinigung gemäß § 40 Absatz 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung zur Gesellschafterliste der Gazprom Germania GmbH vom 25. März 2022 vor. Unklar ist, wer wirtschaftlich und rechtlich hinter GPEBS steht. Der Name legt eine Zugehörigkeit zur Gazprom-Gruppe nahe.
Laut einem Registerauszug aus dem russischen Handelsregister vom 1. April 2022 wurden zum 31. März 2022 0,1 % der Anteile an der GPEBS an die Joint Stock Company Palmary („Palmary“) übertragen. Die restlichen 99,9 % der Anteile an GPEBS befinden sich nach Auskunft von Gazprom Germania bei GPEBS selbst. Palmary kontrolliert demnach 100 % der Stimmrechte an GPEBS und damit auch an Gazprom Germania, weil die übrigen Anteile von GPEBS als sog. Eigenanteile selbst gehalten werden und deshalb stimmrechtslos sind. Unklar ist, wer wirtschaftlich und rechtlich hinter Palmary steht.
Der russische Gazprom-Konzern hat mitgeteilt, sich am 31. März 2022 von der Beteiligung an der deutschen Gazprom-Gruppe getrennt zu haben. Es wurde nicht mitgeteilt, wer der neue wirtschaftliche und rechtliche Eigentümer dieser Beteiligung sein soll.
Der Erwerb durch GPEBS und Palmary wurde dem BMWK entgegen der Pflicht nach § 55a Absatz 4 der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) nicht gemeldet.
3.
Gesellschafterbeschluss zur Liquidierung der Gazprom Germania
GPEBS hat am 1. April 2022 unter Verstoß gegen das Verbot der Stimmrechtsausübung nach § 15 Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 AWG einen notariell beglaubigten Beschluss der Gesellschafter von Gazprom Germania gefasst, in dem unter anderem die Entscheidung zur freiwilligen Liquidierung („voluntary liquidation“) von Gazprom Germania mitgeteilt wird und die Geschäftsführung von Gazprom Germania angewiesen wird, diese „freiwillige Liquidierung durchzuführen“ („to carry out the procedure of the voluntary liquidation“).

II. Rechtliche Würdigung

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz kann gemäß § 6 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 4 Absatz 1 Nummer 4 sowie § 13 Absatz 6 AWG im Außenwirtschaftsverkehr durch Verwaltungsakt Rechtsgeschäfte oder Handlungen beschränken oder Handlungspflichten anordnen, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union abzuwenden.

Nach § 15 Absatz 5 Satz 2 Nummer 3 AWG kann in einer Rechtsverordnung die Übergabe von Stimmrechtsanteilen an einen Treuhänder geregelt werden, soweit dies erforderlich ist, um die ordnungsgemäße Durchführung eines Prüfverfahrens oder die Wirksamkeit einer Untersagung zu gewährleisten. Von dieser erst im Juni 2021 eingeführten Ermächtigung hat der Verordnungsgeber bisher keinen Gebrauch gemacht, so dass ein Vorgehen im Wege des Einzeleingriffs geboten ist, um eine ordnungsgemäße Durchführung des Prüfverfahrens zu gewährleisten.

Die Anordnung der Treuhandverwaltung ist erforderlich, um die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 4 Absatz 1 Nummer 4 AWG zu gewährleisten. Bei der Gazprom Germania handelt es sich um ein Unternehmen, welches als Betreiber kritischer Infrastruktur im Sinne des BSI-Gesetzes von herausragender Bedeutung für die Gasversorgung in Deutschland ist. Der Erwerber ist der Meldepflicht nach § 55a Absatz 4 Satz 1 AWV nicht nachgekommen und hat zudem gegen das Verbot der Stimmrechtsausübung nach § 15 Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 AWG verstoßen und eine Liquidierung des inländischen Unternehmens Gazprom Germania angeordnet, was das Ende der rechtlichen Existenz der Gazprom Germania zur Folge hätte. Angesichts dieser Verstöße ist die ordnungsgemäße Durchführung des Prüfverfahrens und damit die Gewährleistung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit konkret und gegenwärtig gefährdet.

Die Anordnung ist verhältnismäßig. Sie ist zur Abwendung der Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit geeignet, weil die Gefahr konkret von der Stimmrechtsausübung durch nicht näher bekannte unionsfremde Erwerberinnen wie GPEBS und Palmary infolge des faktischen Vollzuges des Erwerbs ausgeht. Sie ist auch erforderlich. Mildere und gleich geeignete Mittel stehen nicht zur Verfügung. Insbesondere ist der Rückgriff auf Maßnahmen im Investitionsprüfungsverfahren nicht gleich wirksam, da das erhebliche Risiko besteht, dass das bestehende Verbot der Ausübung der Stimmrechte weiterhin missachtet wird. Die Anordnung ist angemessen. Die Schwere des Eingriffs steht in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck, die ordnungsgemäße Durchführung des Investitionsprüfungsverfahrens zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere angesichts der herausragenden Bedeutung von Gazprom Germania als Betreiber kritischer Infrastruktur für die Gasversorgung in Deutschland.

Wegen Gefahr im Verzug ergeht die Anordnung gemäß § 13 Absatz 6 AWG im Benehmen mit dem Auswärtigen Amt, dem Bundesministerium der Finanzen und der Deutschen Bundesbank.

Dieser Verwaltungsakt wird mit der Veröffentlichung im Bundesanzeiger wirksam (§ 6 Absatz 1a AWG) und ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 14 Absatz 2 AWG).

Rechtsbehelfsbelehrung

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe beim Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin-Moabit, Klage erhoben werden.

Berlin, den 4. April 2022

Der Bundesminister
für Wirtschaft und Klimaschutz

In Vertretung
Udo Philipp